Nirgendwo sonst gibt es mehr Milliardäre als in Moskau, nirgends wird Reichtum provokanter zur Schau gestellt.
Nirgendwo sonst gibt es mehr Milliardäre als in Moskau, nirgends wird Reichtum provokanter zur Schau gestellt.
Stab und Besetzung
Redaktionelle Zustaendigkeit | Rita Knobel-Ulrich |
Hier gibt es Mädels und Mittelstreckenraketen, Klunker oder Kaviar, wenige lupenreine Demokraten, aber viele lupenreine Karat: Moskau vergisst 70 "graue" Jahre, will alles und zwar sofort. Graues Häusermeer, Servicewüste - das war gestern. Heute kann man in Moskau um drei Uhr morgens einkaufen, um vier Uhr dinieren, sich um fünf Uhr die Haare schneiden lassen. Jeder hat eine Idee, wie sich irgendwie Geld verdienen lässt. Nicht nur Bonzen schwelgen im Konsumrausch. Auch Durchschnittsverdiener haben Einkaufen als Hobby entdeckt.
Unteroffiziere der russischen Armee verdienen sich als Wachleute in bzw. vor edlen Einkaufspassagen, Nachtklubs oder auf wilden Partys ein Zubrot. Im Mutterland der Emanzipation, der Kosmonautinnen und Ingenieurinnen, Chefärztinnen und Bauarbeiterinnen sind Frauen wieder Schmuckstücke: Jung und langbeinig schmücken sie kleine, ältere, reiche Männer, die befragt, womit sie ihr Geld verdienen, nur lakonisch antworten: "Business!"
Sie leben schwer bewacht hinter hohen Zäunen: die Businessmen, die Superreichen. Und sie genießen das Leben mit einer Mischung aus Größenwahn und Gier, leben, als sei Sparen eine Schande. Wer da nicht mithalten kann, ist auf Mitleid angewiesen. Babuschkas trifft es vor allem. Sie kämpfen in einer der teuersten Städte der Welt ums Überleben.
Das GUM, früher das staatliche Universal-Kaufhaus, ist heute eine hippe Einkaufspassage: Früher bekam man dort aus dem Textilkombinat Die Bolschewikin graue Sackkleider in Übergrößen, Filzstiefel und Süßigkeiten der Schokoladenfabrik Roter Oktober. Inzwischen schweben Moskauerinnen auf atemberaubenden Absätzen durch die Stadt, es haben sich hier Gucci und Pucci, Schweizer Uhrenfirmen und amerikanische Nobelmarken einquartiert.
Dabei wissen Moskowiter aber: der Zar ist nicht weit, und dem darf man nicht in die Suppe spucken. Wer Geschäfte machen will, muss sich aus der Politik heraushalten. Jeden Abend und Morgen stehen Moskauer ergeben im Stau, denn der Zar braust auf einem Mittelstreifen vorbei, der schon zu Zeiten des real gewesenen Sozialismus für die Nomenklatura reserviert war. Das hat sich nicht geändert. Und dass nur wenige aufmucken auch nicht.
Moskau ist verdammt anstrengend, wild und unberechenbar. Im Mittelalter war die Stadt fast 200 Jahre mongolischen Eroberern tributpflichtig. Manche wissen bis heute nicht genau, ob man hier schon in Asien oder doch noch in Europa ist. Eine Mischung eben aus Grausen und Entzücken. Moskau ist im Kreis der Weltstädte angekommen. Wo war noch mal dieses New York?
programm.ARD.de © rbb | ARD Play-Out-Center || 26.03.2023