• 09.06.2011
      03:45 Uhr
      Die gestohlene Rente Altersarmut in England - Thema: Alt und arm? | arte
       

      In keinem europäischen Land sind mehr alte Menschen von Armut betroffen als in Großbritannien. Das britische Modell der Altersvorsorge gilt nicht nur als unzureichend und unfair, sondern auch als das komplizierteste Rentensystem der Welt.

      Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, 09.06.11
      03:45 - 05:00 Uhr (75 Min.)
      75 Min.
      Stereo

      In keinem europäischen Land sind mehr alte Menschen von Armut betroffen als in Großbritannien. Das britische Modell der Altersvorsorge gilt nicht nur als unzureichend und unfair, sondern auch als das komplizierteste Rentensystem der Welt.

       

      Stab und Besetzung

      Regie Stefan Richts

      Nirgendwo in Europa leben so viele Rentner in Armut wie in Großbritannien. Etwa 2,5 Millionen der insgesamt zwölf Millionen britischen Rentner sind arm, dreimal mehr als in Deutschland. Und Millionen Rentner leben mit dem Risiko, in die Armut abzugleiten. 470 Euro monatlich beträgt die einheitliche Grundrente. Arbeitnehmer, die im Alter mehr Geld zur Verfügung haben möchten, müssen über Betriebsrenten oder private Sparpläne vorsorgen. Das Anlagerisiko trägt allerdings der zukünftige Rentner selbst.

      Jeff Taylor dachte auch, er könne einen finanziell abgesicherten Lebensabend verbringen. 32 Jahre lang hatte er zunächst für den Automobilkonzern Ford und anschließend für das Tochterunternehmen Visteon UK gearbeitet, bevor er im Dezember 2008 in Rente ging. Doch vier Monate nach Taylors Renteneintritt meldete Visteon UK Insolvenz an. Damit wurde der Betriebsrentenfonds zahlungsunfähig, und der zweifache Familienvater Taylor verlor auf einen Schlag über zehn Prozent seiner ohnehin geringen Betriebsrente. Statt 1.100 Euro bekommt er jetzt weniger als 950 Euro im Monat. Manche seiner Kollegen verloren bis zu 50 Prozent ihrer Betriebsrente. Heute muss Jeff Taylor wieder arbeiten gehen wie Hunderttausende britische Rentner auch.

      Noch schlechter geht es der 70-jährigen Joan Denham. Die ehemalige Telefonistin lebt in Bury, einer Kleinstadt nahe Manchester. Als alleinstehende Frau gehört sie zu der am stärksten gefährdeten Personengruppe innerhalb des britischen Rentensystems. Heute lebt sie von circa 90 Euro staatlicher Rente pro Woche. Zusätzlich bekommt sie eine Art Sozialhilfe in Höhe von 30 Euro. Ein Schicksal, das sie mit vielen Rentnerinnen teilt, die aufgrund von Kindererziehungszeiten und niedrigen Löhnen nicht für ihre Rente privat vorsorgen konnten.

      Aber auch für die staatlichen Renten zeichnet sich ein Milliardenloch ab. Die Lage ist dramatisch, weil auch britische Rentner mit der Inflationsrate zu kämpfen haben. Wie schlecht es um das marode britische Rentensystem bestellt ist, zeigt sich auch an der hohen Sterberate bei armen Rentnern.

      In der Dokumentation erläutern Malcolm MacLean vom "Pension Advisory Service", dem nationalen, unabhängigen Pensionsberatungsservice, und die unabhängige Pensions- und Finanzexpertin und Ex-Labour-Beraterin Dr. Ros Altmann die unterschiedlichen Konzepte zur Alterssicherung in Großbritannien. Zu Wort kommen außerdem Gewerkschafter, Vertreter von Hilfsorganisationen und der Labour-Partei.

      Im Alter arm zu sein, empfinden viele Menschen als unzumutbare Vorstellung, vor allem dann, wenn sie lange Jahre hart gearbeitet und brav ihre Beiträge in die staatlichen Rentenkassen abgeführt oder sich sogar noch um private Altersvorsorge bemüht haben. Doch Altersarmut und damit Verelendung und Vereinsamung drohen immer mehr Rentnern in Europa. Die Rentenkassen sind leer, und die Zahl der Beitragszahler sinkt. Der Themenabend hat die Lage von Rentnern in Deutschland, Frankreich und Großbritannien unter die Lupe genommen, er liefert politische Analysen der gegenwärtigen Rentenkrise in Europa und zeigt mögliche Lösungsansätze.

      Nach 30 oder 40 Jahren zum Teil harter Arbeit alt und gleichzeitig arm zu sein, zählt zu den schlimmsten Vorstellungen zahlreicher Arbeitnehmer. Doch schon heute ist jeder fünfte Rentner in Europa von Armut bedroht. Nach neusten Berechnungen von Rentenexperten werden in den nächsten Jahren viele EU-Länder mit einer massiven Altersarmut zu kämpfen haben. Die Überalterung der Gesellschaften bringt die Finanzierung der Rentensysteme an die Grenzen der Belastbarkeit und macht Reformen unabdingbar.

      Und nach der Finanzkrise der letzten Jahre wird sich - so die Einschätzung von Finanzanalysten - die Altersarmut weiter verschärfen - vor allem in Großbritannien, weil dort traditionell viele Rentenversicherungen auf Aktienfonds basieren. Die staatlichen Renten in Deutschland und Frankreich werden von der Finanzkrise, so die Prognosen, weniger stark betroffen sein, weil die Rentenkassen per Gesetz zu konservativen Anlagestrategien gezwungen sind.
      Anders sieht es bei der privaten Rentenvorsorge aus, die wegen zum Teil riskanter Geschäfte niedrigere Renten auszahlen werden als bislang versprochen. Armut im Alter bedeutet aber auch soziale Ausgrenzung sowie Angst vor Vereinsamung und Verelendung. Heute schon stehen immer mehr Rentner in Europa Schlange vor den Suppenküchen. Und immer mehr Rentenbezieher müssen arbeiten, um ihr ärmliches Einkommen aufzubessern.
      Der Themenabend richtet den Fokus auf ein politisches Tabu. Warum nimmt die Altersarmut in den EU-Staaten zu? Wie müssen die Rentensysteme reformiert werden, um nachhaltig und sozial ausgewogen zu sein? Warum gelingt es vielen Politikern und Lobbyisten, die längst überfälligen Rentenreformen immer wieder zu blockieren oder gar zu verhindern? Was bleibt zum Leben für die letzte Lebensspanne und wird der finanziell sorglose Ruhestand zum Privileg der Oberschicht?

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      Nacht von Mittwoch auf Donnerstag, 09.06.11
      03:45 - 05:00 Uhr (75 Min.)
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