• 09.11.2019
      08:30 Uhr
      Sehen statt Hören Wochenmagazin für Hörgeschädigte | NDR Fernsehen
       
      • Deutscher Gehörlosen-Bund (DGB) 2.0 - Die Bundesversammlung

      Einmal im Jahr kommen die Mitglieder des Deutschen Gehörlosen-Bundes zu ihrer ordentlichen Bundesversammlung zusammen. Letztes Wochenende war es wieder soweit: In Augsburg haben sich 70 Mitglieder und Delegierte getroffen – Sehen statt Hören war dabei.

      Samstag, 09.11.19
      08:30 - 09:00 Uhr (30 Min.)
      30 Min.
      • Deutscher Gehörlosen-Bund (DGB) 2.0 - Die Bundesversammlung

      Einmal im Jahr kommen die Mitglieder des Deutschen Gehörlosen-Bundes zu ihrer ordentlichen Bundesversammlung zusammen. Letztes Wochenende war es wieder soweit: In Augsburg haben sich 70 Mitglieder und Delegierte getroffen – Sehen statt Hören war dabei.

       

      Auf der Bundesversammlung wurde ausgiebig diskutiert, Zukunftsfragen aufgeworfen und nach Strategien und Lösungen gesucht. Hier eine Übersicht der großen Themen.

      Forderungskatalog

      Ein umfassender Forderungskatalog der Gehörlosen an die Politik – das ist sicher eine der größten Errungenschaften des Deutschen Gehörlosen-Bundes der letzten Jahre. Verfasst wurde er federführend von Daniel Büter, dem DGB-Referenten für politische Bildung und Öffentlichkeitsarbeit. Doch es war auf keinen Fall ein Solo-Projekt – im Gegenteil: Gemeinsam mit Fachteams und dem DGB-Präsidium wurden die wichtigsten Punkte und Forderungen erarbeitet. Der Grundstein dafür wurde bereits vor der letzten Bundestagswahl gelegt: Damals gab es die Idee, die verschiedenen Parteien und Politiker anhand von Wahlprüfsteinen zu befragen. Eine mühsame Angelegenheit, musste man damals ja erst herausfinden, was konkret gefragt werden sollte.

      Das sollte sich ändern, die Forderungen sollten parat, aktuell und niedergeschrieben vorliegen. Dafür vervollständigte Daniel Büter die Wahlprüfsteine noch mit den Forderungen, die schon 2012 im Rahmen der großen Demo in Berlin mit 14.000 Teilnehmern, aufgestellt wurden. Erweitert wurde dann noch um aktuelle Punkte. Das Ergebnis liegt nun als Entwurf vor. Fertig ist der Forderungskatalog aber nie, er ist eine Arbeitsgrundlage für die nächste Zeit - denn: Er wird ständig mit neuen Forderungen ergänzt, die sich ergeben und erfüllte Forderungen werden aus dem Katalog herausgestrichen. Er ist also ein lebendiges Arbeitspapier, das sich fortwährend verändert. Und er soll zudem Grundlage und Hilfsmittel für die Landeverbände sein – schließlich sind manche Problemfelder auch nur in der Landepolitik zu verändern, wie etwa Bildungsfragen und -forderungen.

      "Das ist strategisch wichtig, um den Überblick zu behalten und nicht nur die großen politischen Themen zu verfolgen. Wir wollen alle Mitglieder vertreten und Gehörlose in allen Lebenssituationen unterstützen."

      Helmut Vogel, Präsident Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.

      Der Entwurf des DGB-Forderungskatalog wurde bei der Bundesversammlung von allen Mitgliedern mit großer Mehrheit angenommen.

      Arbeitsgruppen und Umstrukturierung

      Nicht nur nach außen sollte sich etwas im Deutschen Gehörlosen-Bund verändern, sondern auch an der inneren Struktur. So wurden im vergangenen Jahr auf der DGB-Bundesversammlung Arbeitsgruppen gefordert, damit die Verantwortung nicht alleine im Präsidium bzw. beim Präsidenten liegt. Fünf Arbeitsgruppen gibt es derzeit: DGB 2.0, Qualitätssicherung von DGS-Filmen, Kommunikationsassistenz, sprachliche Minderheit und Ehrenordnung – einberufen von der Versammlung oder dem Präsidium selbst.

      "Ziel ist, auf diese Weise schneller Lösungen anbieten zu können. Egal ob ein Positionspapier geschrieben oder eine Veranstaltung oder ein Workshop zu planen ist […]. Das Ziel ist immer, möglichst schnell eine Antwort geben zu können."

      Helmut Vogel, Präsident Deutscher Gehörlosen-Bund e.V

      Jugend und Nachwuchsförderung

      Das neue Kommunikationszeitalter stellt die Gehörlosenverbände und -zentren vor große Herausforderungen: Sie waren vor der Digitalisierung die einzigen Treffpunkte für Gehörlose um miteinander zu kommunizieren. Jetzt ist man mobiler, nutzt Handy und Internet um sich kurzfristig zum Austausch zu verabreden. Der Ort ist dabei frei bestimmbar. Für den Verband macht das vieles schwerer, denn die Gehörlosen sind nicht mehr so sehr an die Verbände gebunden. Der DGB hat nun seine Mitglieder aufgefordert, Vorschläge zu machen, was geändert werden soll, damit die Mitgliederzahlen stabil bleiben.
      Umfrageergebnis

      Die Arbeitsgruppe „Umstrukturierung des Deutschen Gehörlosenbunds 2.0“ hat die 16 Landesverbände befragt: Wie ist eure Prognose – wie viele Vereine und Mitglieder wird es in 20 Jahren voraussichtlich noch geben? Aktuell gibt es 195 Vereine, die Prognose für 2039 ist: es wird nur noch 87 Vereine geben. Bei den Mitgliederzahlen ist es ähnlich: Sie werden voraussichtlich von derzeit 9650 auf 3700 schrumpfen.

      "[…] uns ist auch wichtig, schon bei den Jüngsten die Möglichkeit zur Identitätsausbildung zu schaffen, z. B. durch das Kindercamp oder das Jugendcamp. Erst wenn sie eine gefestigte Identität entwickelt haben, können sie später als Erwachsene auch politisch aktiv werden. Die Grundlagen müssen wir jetzt legen."

      Katja Hopfenzitz, 2. Bundesjugendvorsitzende DGJ e.V.
      Bildung

      Da der große Themenkomplex „Bildung“ politisch in der Verantwortung der einzelnen Bundesländern liegt, ist es seit jeher ein schwieriges Thema für den Gehörlosenverband.

      "Wir können auf Bundesebene nur den Austausch fördern und uns anhören, was an uns herangetragen wird. Wir versuchen zu vermitteln, zu vernetzen und Interessen abzugleichen. Umgesetzt werden muss das aber direkt in jedem einzelnen Bundesland."

      Helmut Vogel, Präsident Deutscher Gehörlosen-Bund e.V.

      Dabei wäre gerade für Gehörlose vieles zu tun: Die UN-Behindertenrechtskonvention formuliert klar, dass gehörlose Kinder durch Lehrer gefördert werden sollen, die Gebärdensprache beherrschen und damit eine breite Kommunikationskompetenz erwerben sollen. Es sollen gehörlose mehr Lehrer eingestellt werden, die den Schülerinnen und Schülern neben der Sprache auch Identitätsvorbilder sind – egal ob inklusiv an Regelschulen oder an Förderschulen. Doch die Realität sieht anders aus, die Zahl der gebärdensprachkompetenten Lehrer nimmt immer weiter ab. Diesen Themen wird sich der DGB ausführlich beim bevorstehenden 4. Bildungskongress im Spätsommer 2020 widmen.
      Gebärdensprache

      Gebärdensprache ist der Schlüssel für eine Kommunikation auf Augenhöhe. Sie ist seit 2002 in Deutschland anerkannt, aber in vielen Bereichen noch nicht gleichwertig mit der Deutschen Laut- und Schriftsprache. Seit Monaten wird darüber diskutiert, ob die Anerkennung als sprachliche Minderheit die Gebärdensprache voranbringen würde. Der DGB hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die von Prof. Dr. Christian Rathmann von der Humboldt-Universität Berlin geleitet wird. 2018 wurde ein entsprechender Antrag, gestellt von den Grünen, bereits von der Bundesregierung abgelehnt. Die Begründung: Bei einer Minderheitensprache muss eine regionale Verortung und die Bedrohung durch „Aussterben“ gegeben sein. Doch die Arbeitsgruppe setzt auf den Europäischen Rat - denn auf europäischer Ebene ist momentan einiges in Bewegung.

      "Deshalb beschäftigen wir uns damit und sammeln Informationen dazu, was es heißt in die europäische Charta der Minderheitensprachen aufgenommen zu werden und als regionale Minderheitensprache anerkannt zu werden […]. Wenn dann auf europäischer Ebene der Stein ins Rollen kommt, können wir auch in Deutschland aktiv werden."

      Prof. Dr. Christian Rathmann, Humboldt Universität Berlin

      Beitrag von Thomas Zander

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