• 25.09.2016
      09:00 Uhr
      Poker um die Deutsche Einheit Wurde Russland in der NATO-Frage getäuscht? | phoenix
       

      Vor 25 Jahren klärten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow die noch offenen außenpolitischen Fragen zur Beendigung der Teilung Deutschlands: Würden die Sowjets zustimmen, dass das vereinigte Deutschland in der NATO bleibt? Was beim Treffen von Gorbatschow und Kohl im Kaukasus jeweils versprochen wurde, beleuchtet die Dokumentation "Poker um die deutsche Einheit - Wurde Russland in der NATO-Frage getäuscht?" Filmautor Ignaz Lozo konnte dafür erstmals am Ort der Verhandlungen drehen: in der Datscha von Michail Gorbatschow.

      Sonntag, 25.09.16
      09:00 - 09:45 Uhr (45 Min.)
      45 Min.
      Stereo

      Vor 25 Jahren klärten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow die noch offenen außenpolitischen Fragen zur Beendigung der Teilung Deutschlands: Würden die Sowjets zustimmen, dass das vereinigte Deutschland in der NATO bleibt? Was beim Treffen von Gorbatschow und Kohl im Kaukasus jeweils versprochen wurde, beleuchtet die Dokumentation "Poker um die deutsche Einheit - Wurde Russland in der NATO-Frage getäuscht?" Filmautor Ignaz Lozo konnte dafür erstmals am Ort der Verhandlungen drehen: in der Datscha von Michail Gorbatschow.

       

      Vor 25 Jahren klärten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl und der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow die noch offenen außenpolitischen Fragen zur Beendigung der Teilung Deutschlands: Würden die Sowjets zustimmen, dass das vereinigte Deutschland in der NATO bleibt? Was beim Treffen von Gorbatschow und Kohl im Kaukasus jeweils versprochen wurde, beleuchtet die Dokumentation "Poker um die deutsche Einheit - Wurde Russland in der NATO-Frage getäuscht?", eine erste Koproduktion von ZDFinfo und phoenix. Filmautor Ignaz Lozo konnte dafür erstmals am Ort der Verhandlungen drehen: in der Datscha von Michail Gorbatschow.

      Es ist ein brisanter Streitfall: Wurde der Sowjetunion im Zuge der Verhandlungen über die Deutsche Einheit im Jahr 1990 tatsächlich versprochen, die NATO würde Richtung Osten nicht expandieren?

      Präsident Putin begründet das russische Vorgehen in der Ukraine und bei der Annexion der Krim auch mit den angeblich gebrochenen Versprechen des Westens. So werden historische Ereignisse vor bald 25 Jahren zu einer explosiven Streitfrage heutiger Außenpolitik. Es wird sogar schon von einem neuen Kalten Krieg gesprochen.

      In der Dokumentation "Poker um die Deutsche Einheit" kommen entscheidende Verhandlungspartner und maßgebliche Zeitzeugen aus Ost und West zu Wort, zum Beispiel Michail Gorbatschow.

      Die Spurensuche an den historischen Orten der Einheitsverhandlungen von 1990 wird angereichert durch exklusives, bislang nicht gesendetes Filmmaterial des Kohl-Besuchs im Kaukasus.

      Der Film widerlegt politische Mythen rund um die brisante Streitfrage, ob der Westen damals gegebene Versprechen zur NATO-Osterweiterung später gebrochen hat.

      "Der Wortbruch ist eine Legende"
      Filmautor Ignaz Lozo spricht mit Daniela Greulich über das Treffen von Gorbatschow und Kohl im Kaukasus vor 25 Jahren

      Herr Lozo, als erster westlicher Fernsehjournalist durften Sie mit Ihrem Team in der sogenannten Gorbatschow-Datscha drehen und dort sogar übernachten. Wie haben Sie in Helmut Kohls Bett geschlafen?

      Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass ich auswärts noch nie so gut geschlafen habe. Das Zimmer war sehr schön, das Bett bequem. Durch das offene Fenster hörte ich das leise Rauschen des Flusses und roch die gute Bergluft. Über die schöne Atmosphäre schreibt auch Kohl in seinen Memoiren und schildert, wie angespannt er am Vorabend der Verhandlungen war.

      Wie sind Sie an die Drehgenehmigung gekommen?

      Das Anwesen in Archys war damals eine Staatsdatscha der Sowjetunion und es herrschte Geheimhaltung über die Gäste. Heute ist sie dem Präsidialamt von Wladimir Putin unterstellt. ARD-Moskau-Korrespondent Gerd Ruge durfte vor 25 Jahren nur im Außenbereich drehen, dort entstanden die berühmten Bilder vom Spaziergang am Fluss und an der Sitzgruppe aus Baumstümpfen. Ich habe mich lange und intensiv auf Russisch um eine Drehgenehmigung bemüht und argumentiert, dass ich mehr Historiker als Journalist bin. Schließlich bekam ich die Zusage - die dann einen Tag vor der Weiterreise von Moskau nach Archys wieder zurückgezogen wurde. Das sei nicht seriös, protestierte ich. Eine Stunde später kam dann der erlösende Anruf, dass der Dreh doch möglich sei.

      Wie sieht die Datscha aus?

      Das Wort Datscha erweckt einen falschen Eindruck. Es ist eher ein kleiner Palast, vielleicht so groß wie drei Einfamilienhäuser. Trotzdem war ich erstaunt, dass die Einrichtung nicht luxuriös ist. Das Essen wird zum Beispiel in einer Art Bauernküche zubereitet.

      Die Hauswirtin arbeitet dort seit Eröffnung des gut abgeschirmten Gebäudes 1978 und hat erzählt, dass sich seither am Interieur nichts verändert hat. Ich bekam also wirklich den historischen Anblick, es war so, als ob die Zeit stehengeblieben ist. Zeitgleich mit mir wohnten dort die Ehefrauen von vier Kreml-Ärzten. Diese baten mich zum Abendessen an ihren Tisch. Voller Ehrfurcht habe ich Platz genommen - nicht wegen der vier Frauen, sondern wegen des Tisches. Denn an ihm verhandelten vor 25 Jahren die deutsche und die sowjetische Delegation.
      Gorbatschow und Kohl erzielten dort den Durchbruch bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit. Nach der Krim-Annexion gibt es die brisante Streitfrage, ob Russland in der Frage der NATO-Osterweiterung vom Westen getäuscht wurde. Sie hatten Gelegenheit, unter anderem mit Gorbatschow, dem ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Ex-US-Außenminister James Baker exklusive Interviews zu führen. Was sagen die dazu?

      Der Wortbruch ist eine Legende. Selbst die sowjetische Seite sagt, dass der Zwei-Plus-Vier-Vertrag erfüllt worden ist. Die NATO-Osterweiterung war in den Verhandlungen damals gar kein Thema. Den Warschauer Pakt gab es damals noch. Für Gorbatschow wäre es absurd gewesen, über eine Auflösung zur sprechen. In den Verhandlungen ging es einzig und allein um die Bündniszugehörigkeit eines wiedervereinigten Deutschland. Das bestätigen fast alle Gesprächspartner und das belegt auch der Zwei-Plus-Vier-Vertrag. Nur Falin sieht das anders und beruft sich auf erste mündliche Absprachen. Aber er war an den späteren Verhandlungen gar nicht beteiligt, weil ihn Gorbatschow nicht mehr einbezog.

      Sie sind für den Film in den Kaukasus, nach Moskau, Houston, Berlin, München und Bonn gereist. Mit wem haben Sie alles gesprochen?

      Ich habe insgesamt zehn Interviews geführt. Neben Gorbatschow, Genscher und Baker unter anderen mit Gorbatschows Berater Valentin Falin und dem damaligen sowjetischen Verteidigungsminister Marschall Dmitri Jasow. Außerdem habe ich auch mit John Kornblum gesprochen, der damals US-Vertreter bei der NATO war, mit ARD-Moskau-Korrespondent Gerd Ruge und Klaus Blech, dem deutschen Botschafter in Moskau. Ihm habe ich viel zu verdanken. Denn Blech hat damals mit einer Video8-Kamera Privataufnahmen gemacht, die er mir zur Verfügung gestellt hat. Er drehte zum Beispiel die Anreise mit dem Hubschrauber und auch den Zwischenstopp auf einer Kolchose, wo Gorbatschow Kohl einen Blick in seine Vergangenheit gewährte und die beiden auf einen Mähdrescher kletterten. Gorbatschows Credo war: Nur mit Vertrauen lässt sich gute Politik machen. Das Filmmaterial war noch nie zu sehen.

      Welche Aussagen waren für Sie am eindrücklichsten?

      Hans-Dietrich Genscher schildert einen sehr emotionalen Moment der Verhandlungen. "Als wir zu dem bekannten Treffen am Fluss gingen, griff die Frau Gorbatschow plötzlich von hinten meine Hand, zog mich zurück und sagte: Wissen Sie, was mein Mann hier tut?

      Deutschland muss seine Verantwortung auch wahrnehmen, die Zusagen auch einhalten." Da habe er geantwortet: "Darauf können Sie sich verlassen. Das war die fürsorgende, politisch denkende Ehefrau." 1990 war der Zweite Weltkrieg noch nicht lange vorbei, Deutschland hatte unendlich viel Leid über die Menschen in der Sowjetunion gebracht. Doch das Land war bereit, seine Kriegsbeute, die DDR, zurückzugeben und hat die Hand zur Versöhnung gereicht. Das war eine große Geste.

      Wieso ist das Treffen eigentlich als "Strickjacken-Treffen" in die Geschichte eingegangen? Auf den berühmten Bildern trägt nur Kohl eine Strickjacke, Gorbatschow aber einen Pullover.

      Das stimmt. Aber bei den eigentlichen Verhandlungen am nächsten Morgen in der Datscha hatten beide Strickjacken an. Sie zogen sich allerdings beide noch einmal um, bevor sie nach dem Abschluss der Gespräche zur Pressekonferenz ins 200 Kilometer entfernte Schelesnowosk aufbrachen und in Anzügen die historischen Gesprächsergebnisse verkündeten.

      Ignaz Lozo ist promovierter Osteuropahistoriker und ehemaliger Russlandkorrespondent. 2014 legte er das wissenschaftliche Fachbuch "Der Putsch gegen Gorbatschow und das Ende der Sowjetunion" vor, das als Standardwerk gilt und auch ins Russische übersetzt wurde.

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