1973 trifft der 24-jährige Ilich Ramírez Sánchez einen der führenden Köpfe der Volksfront zur Befreiung Palästinas. Mit diesem Treffen beginnt die terroristische Karriere von Carlos, einem der berüchtigtsten Terroristen des Kalten Krieges.
1973 trifft der 24-jährige Ilich Ramírez Sánchez einen der führenden Köpfe der Volksfront zur Befreiung Palästinas. Mit diesem Treffen beginnt die terroristische Karriere von Carlos, einem der berüchtigtsten Terroristen des Kalten Krieges.
Stab und Besetzung
Ilich Ramírez Sánchez 'Carlos' | Édgar Ramírez |
Angie | Christoph Bach |
Wadie Haddad | Ahmad Kaabour |
Michel Moukharbal 'André' | Fadi Abi Samra |
Johannes Weinrich | Alexander Scheer |
Magdalena Kopp | Nora von Waldstätten |
Khalid | Rodney El-Haddad |
Nada | Julia Hummer |
Ali | Talal El-Jurdi |
Cheikh Yamani | Badih Abou Chakra |
Brigitte Kuhlmann | Katharina Schüttler |
Joseph-Edward Sieff | Leslie Clack |
Regie | Olivier Assayas |
Ausstattung | François-Renaud Labarthe |
Autor | Dan Franck |
Olivier Assayas | |
Kamera | Yorick Le Saux |
Denis Lenoir | |
Kostüm | Jürgen Doering |
Produktion | Film en Stock |
Egoli Tossell Film | |
Canal + | |
ARTE F | |
Sonstige Mitwirkung | Luc Barnier |
Marion Monnier | |
Daniel Leconte | |
Raphael Cohen | |
Jens Meurer | |
Judy Tossel | |
Nicolas Cantin | |
Nicolas Moreau |
Im Sommer 1973 fliegt Ilich Ramírez Sánchez, 24 Jahre alt, in Venezuela geboren, nach Beirut, um Wadie Haddad zu treffen. Haddad ist einer der führenden Köpfe der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP). Ilich will aktiv werden. Jung, überzeugt vom Kampf für die Weltrevolution, bietet er Haddad an, für ihn zu arbeiten, in Europa. Da Mohammed Boudia, der bisherige Chef der PFLP in Europa vor kurzem vom israelischen Geheimdienst getötet wurde, könnte er fortan das europäische Netzwerk organisieren. Haddad lehnt es zwar ab, doch ist er gleichsam beeindruckt von diesem jungen Mann.
Er stellt ihn einem Mann namens "André" zur Seite, der fortan die Missionen der PFLP in Europa leitet. In diesem Jahr wird Ilich Ramírez Sánchez zum Terroristen, der unter dem Namen Carlos zur Ikone des internationalen Terrorismus wird. In Paris trifft Carlos André und erhält seinen ersten Auftrag für die PFLP. Joseph-Edward Sieff, Geschäftsführer von Marks & Spencer und Vizepräsident der British Zionist Federation soll umgebracht werden, um ein Zeichen zu setzen.
Carlos fliegt nach London, das Attentat ist nur ein halber Erfolg; Sieff überlebt, doch die bedrohliche Botschaft ist verstanden. Und Carlos hat sich durch seinen Mut und Ehrgeiz in den Augen der PFLP bewährt. In den folgenden Jahren wird Carlos zum zweiten Mann im europäischen Terrornetzwerk der PFLP. Im Januar 1974 verübt er einen Bombenanschlag auf eine Filiale der israelischen Bank Hapoalim. In Paris trifft er sich mit Mitgliedern der Roten Armee Japan.
Als bei einem geplanten Anschlag einer der japanischen Genossen verhaftet wird, beauftragt der PFLP Carlos mit dessen Befreiung. Carlos setzt auf Terror: Das Attentat auf den Drugstore Publicis in Paris 1974 ist ein "Erfolg". Carlos bombt weiter im Auftrag des PFLP. Auch wenn der Anschlag am Flughafen Orly auf eine israelische El-Al-Maschine fehlschlägt, die Botschaft ist deutlich. Die PFLP wird nicht zulassen, dass Arafat ein Friedensabkommen mit Israel aushandeln wird.
André wird 1975 in Beirut festgenommen. Bei seiner Rückkehr nach Paris wird er von Agenten der DST, der französischen Spionageabwehr, verfolgt. André wird zum Verräter und gibt Carlos' Aufenthaltsort preis. In einer kleinen Studentenwohnung, bei einer Freundin in der Rue Toullier, erzwingt der Geheimdienst bei einer Razzia die Gegenüberstellung von Carlos und André. Es kommt zu einem Massaker. Mit einer unglaublich brutalen Kaltblütigkeit erschießt Carlos die Geheimdienstagenten und André. Carlos muss untertauchen ...
Ilich Ramírez Sánchez alias Carlos - ein Phantom, ein Mythos, ein Killer, eine Medienfigur und ein Topterrorist. 1973 begann Carlos für die "Volksfront zur Befreiung Palästinas" zu arbeiten, baute schließlich seine eigene Organisation auf, arbeitete für Syrien, den Irak und sämtliche Geheimdienste Osteuropas. Als Phantom des Schreckens war Carlos im ausgehenden 20. Jahrhundert das, was Osama bin Laden für das beginnende 21. wurde. Eine Fahndungsaufgabe für Militär und Agenten, aber vielleicht auch ein Alibi für mörderische Machenschaften und Terror politischer Natur. Über zwei Jahrzehnte hielt dieser Mann mit der charakteristischen schwarzen Sonnenbrille erst Europa, dann die ganze Welt in Atem.
Regisseur Olivier Assayas erzählt diese Geschichte vom Aufstieg und kläglichen Ende des berühmtesten Terroristen des 20. Jahrhunderts. Die Bilder seines Films sind schnell, dynamisch, immer in Bewegung, wie sein Protagonist Carlos. Rasende Ortswechsel, von Paris nach London, Wien, Algier, Beirut und Berlin, gefolgt von einer Sprachenflut: Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch, Arabisch, Carlos ist ein Sprachtalent. Der Terrorismus ist international vernetzt, PFLP, RAF, ETA, Stasi, KGB. Assayas' "Carlos" ist ein rhythmischer Zick-Zack-Lauf, es ist kein Stillstand und keine Atempause in Sicht - kurz: eine 330-minütige Tour de Force.
Dennoch ist "Carlos" mehr als eine Chronik der Ereignisse von 1973 bis 1994, mehr als das Psychogramm des legendären Terroristen mit der schwarzen Sonnenbrille. Denn hier wird, anders als in anderen Terroristendramen, keinem längst vergangenen Mythos gehuldigt, es wird nichts zur Heldengeschichte verklärt. Assayas zeigt den Aufstieg und Fall von Carlos, der zum Spielball, zur Marionette im politischen Weltgeschehen wurde und mit dem Fall des Eisernen Vorhangs arbeits- und vor allem heimatlos wurde. Terrorismus erscheint hier nicht individuell, sondern staatlich verordnet und instrumentalisiert. Carlos, ein Werkzeug der Politik, ein Terrorist und Auftragskiller im Dienste von Regimen und Geheimdiensten weltweit. Assayas zeichnet seinen Carlos nicht als Idealisten, sein Carlos ist kein Weltrevolutionär, der für eine Idee kämpft und tötet. Sein Carlos ist ein militanter Stratege, ein Söldner im Kalten Krieg, der seine Dienste an die Höchstbietenden verkauft. Vielleicht ist das der Grund, warum der echte Carlos, der noch immer in Frankreich im Gefängnis sitzt, versuchte, gegen Assayas' Darstellung gerichtlich vorzugehen. "Alles falsch" sagte er, doch "Carlos" erhebt keinen allgemeinen Wahrheitsanspruch, der Film ist Fiktion und Assayas Interpretation der Carlos-Geschichte.
"Carlos" feierte im Jahr 2010 bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes Premiere. Der Film, der eigentlich für das Fernsehen gedreht wurde, kam schließlich in der Lang- und in einer gekürzten Fassung in die Kinos. Bei Festivals wurde Olivier Assayas' fünfstündiges Carlos-Fresko mehrfach ausgezeichnet. In Beverly Hills erhielt der Film den Golden Globe in der Kategorie "Fernsehfilm".
Der junge Schauspieler Edgar Ramírez, der wie Carlos aus Caracas stammt, wurde für seine schauspielerische Leistung mit dem César ausgezeichnet. Es ist nicht zuletzt sein Verdienst, dass die fünf Stunden von "Carlos" keine Längen haben. Es ist beeindruckend, mit welcher Körperlichkeit Ramírez den unberechenbaren Terroristen und Selbstdarsteller Carlos auf die Leinwand bringt. Neben ihm glänzt ein wunderbares Ensemble, darunter die hervorragenden deutschen Schauspieler Nora von Waldstätten, Alexander Scheer, Julia Hummer und Katharina Schüttler.
programm.ARD.de © rbb | ARD Play-Out-Center || 19.03.2024