• 23.08.2014
      15:30 Uhr
      Exclusiv im Ersten: Viel gepaukt - wenig behalten? Warum das Turbo-Abi G8 auf der Kippe steht | Das Erste
       

      Seit einigen Jahren gilt sie an den meisten Gymnasien bundesweit - die Schulzeitverkürzung, kurz "G8". Statt in 9 Jahren hecheln Schüler in 8 Jahren zum Abitur. Von Anfang an war diese Maßnahme umstritten, nicht zuletzt, weil die Stoffmenge oft kaum gekürzt wurde. In den letzten Monaten ist der Widerstand immer massiver geworden. Die größte Bildungsreform seit Jahrzehnten ist, laut Kritiker, vollkommen gescheitert. Die wichtigsten Vorwürfe: zu viel Schulstress, zu wenig Freizeit, zu wenig Wiederholung und Vertiefung, zu wenige außerschulische Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, schlechtere Abi-Noten - und kein nachhaltiges Wissen.

      Samstag, 23.08.14
      15:30 - 16:00 Uhr (30 Min.)
      30 Min.

      Seit einigen Jahren gilt sie an den meisten Gymnasien bundesweit - die Schulzeitverkürzung, kurz "G8". Statt in 9 Jahren hecheln Schüler in 8 Jahren zum Abitur. Von Anfang an war diese Maßnahme umstritten, nicht zuletzt, weil die Stoffmenge oft kaum gekürzt wurde. In den letzten Monaten ist der Widerstand immer massiver geworden. Die größte Bildungsreform seit Jahrzehnten ist, laut Kritiker, vollkommen gescheitert. Die wichtigsten Vorwürfe: zu viel Schulstress, zu wenig Freizeit, zu wenig Wiederholung und Vertiefung, zu wenige außerschulische Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, schlechtere Abi-Noten - und kein nachhaltiges Wissen.

       

      Seit einigen Jahren gilt sie an den meisten Gymnasien bundesweit - die Schulzeitverkürzung, kurz "G8" genannt. Statt in neun Jahren hecheln Schüler in acht Jahren zum Abitur. Von Anfang an war diese Maßnahme umstritten, nicht zuletzt, weil die Stoffmenge oft kaum gekürzt wurde. In den letzten Monaten ist der Widerstand aber immer massiver geworden.

      Die größte Bildungsreform seit Jahrzehnten ist nach Ansicht der Kritiker vollkommen gescheitert. Die wichtigsten Vorwürfe: zu viel Schulstress, zu wenig Freizeit, zu wenig Wiederholung und Vertiefung, zu wenige außerschulische Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, schlechtere Abi-Noten - und vor allem: kein nachhaltiges Wissen. Das böse Stichwort vom "Bulimie-Lernen" macht schon seit langem die Runde: Der nur oberflächlich angelernte Stoff hält gerade bis zur nächsten Klassenarbeit, wird dort zu Papier gebracht - und danach für immer vergessen. So ist das Turbo-Abi zum Unwort geworden. Nicht nur bei der Mehrzahl der Schüler und Eltern, sondern auch bei immer mehr Lehrern.

      Wie kam es seinerzeit überhaupt dazu? Initiatoren waren vor allem die Finanzminister der Länder. Ihre Rechnung damals: Eine kürzere Schuldauer sollte 1,3 Milliarden an Gehältern für Gymnasiallehrer sparen. 5.000 Euro pro Kind für ein Schuljahr weniger. Dazu das gesparte Kindergeld, wenn die Teenager ein Jahr früher in den Job starten.
      Und so hielten auch die Arbeitgeberverbände große Stücke auf die Reform. Schneller fit für den Arbeitsmarkt, das war die Erwartung.

      Doch die Reform wurde völlig über die Köpfe der Betroffenen hinweg beschlossen. Eltern- und Lehrerverbände wurden - wohl ganz bewusst - weitgehend herausgehalten, obwohl (oder weil?) diese von Anfang an massive Bedenken äußerten. Die Leidtragenden sind nun aber nicht nur die Schüler/innen, sondern auch ihre Eltern - und letztlich auch die Universitäten und Unternehmen, die bei vielen 17-jährigen Schnell-Abiturient/innen persönliche Unreife und große Wissenslücken beklagen. Alles wird nur ins Kurzzeitgedächtnis gehämmert.

      Für das Verfestigen des Stoffes bleibt keine Zeit. Zur großen Sorge vieler Universitätsprofessoren. Kaum sind die ersten G8-Abiturienten an den Unis, verzweifeln die Hochschullehrer, zu sehr klafft das Wissen der Studenten auseinander. Sie richten Brückenkurse ein, um die G8- und G9-Studenten wieder zu einer homogen Gruppe zu machen. Besonders auffällig sei das in Mathematik und Deutsch, so die Professoren.

      Das Bulimie-Lernen scheint aber auch nicht nur die Freizeitgestaltung der Familien zu blockieren. Seit der Einführung von G8 nehmen immer mehr Kinder, Jugendliche und schulgestresste Eltern psychotherapeutische Hilfe in Anspruch. Aber auch die Lehrer bilden eine wachsende Gruppe in den Praxen. Auch über den Einsatz und Missbrauch von leistungs- und konzentrationssteigernden Wirkstoffen und Medikamenten wird zunehmend berichtet.
      Auf der anderen Seite beklagen Sport- und Musikvereine oder auch die Feuerwehren einen starken Rückgang an jugendlichen Mitgliedern. Neben G8 hätten Schüler kaum noch Zeit für Vereinsleben oder Sport, entweder, weil sie zu häufig Nachmittagsunterricht haben oder ihnen sonst die Zeit zum Lernen fehlt. Das führt dazu, dass Kinder immer weniger Sport treiben. "Verkürztes Abi, verkürzte Muskeln", so nennen es wiederum die Mediziner.

      Und: Die soziale Schere klafft immer weiter auseinander: Weil der Stoff in der Schule durchgepeitscht wird, während gleichzeitig der Numerus-Clausus-Druck zugenommen hat, benötigen viele Kinder Nachhilfe. Wer sich das nicht leisten kann, hat einen Wettbewerbsnachteil oder scheitert ganz. Noch nie gab es so viele Abitur-Abbrecher oder Wiederholer in der Oberstufe wie heute.

      Experten kritisieren, dass die Politik nicht genug Gelder zur Verfügung gestellt, um G8 richtig durchzuplanen. Herausgekommen sei lediglich eine Billiglösung auf Kosten der Kinder und Familien!

      In ganz Deutschland gibt es inzwischen wachsenden Protest und Unterschriftenaktionen von Eltern und Schülern gegen das Turbo-Abi. Noch halten einige Bundesländer daran fest, aber an vielen Stellen ist die Fassade schon erheblich gebröckelt. Seit die Stimmung der Mehrheit gekippt ist, kann man mit G8 politisch keinen Blumentopf - und auch keine Wählerstimmen - mehr gewinnen.

      Die SR-Reporterinnen Nicole Würth und Sigrid Born haben sich auf den Weg quer durch die Bildungsrepublik Deutschland gemacht. Sie kommen zu dem Fazit: Für Genies war G8 schon immer machbar. Für Millionen anderer Teenager ist das Experiment auf breiter Front gescheitert.

      Ein Film von Sigrid Born und Nicole Würth

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